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AutorenbildHenni Jesch

Ist denn schon alles in Ordnung mit uns? Holger Heck anlässlich eines Trakehner Galaabends...


Diese Rede von Holger Heck anlässlich des Trakehner Galaabends, irgendwann in den 80er Jahren hat mich damals als Teenager so berührt, daß ich sie seit damals auf einer winzigen schwarzweiß Kopie aufgehoben habe. Genau dieser Text hat mich zum Schreiben animiert, mir die Fähigkeit verliehen, mit Worten Herzen zu berühren, die ähnlich schlagen wie meins.


Aber wie so oft ist das Original unerreicht. So lebt Holger Heck, der damals schon krebskrank und sich der Endlichkeit des Seins bewußt war - weiter und hat sich in seinem Ansinnen, den edelsten Pferden neue Freunde zu gewinnen, unsterblich gemacht. 


"Ein paar Minuten Besinnung:

Draußen dreht sich die Erde weiter. Freiwillig verliert sie niemals ihrAlltagsgesicht: ein paar Lachfalten, aber auch grimmige Züge, Tränen in den Augen und manchmal eine Fratze. Vor der Halle an der Ampel sitzt ein Mann in seinem Wagen auf dem Weg von der Nachtschicht ins Bett. Er ist müde und er fürchtet sich  vor der Frage, warum er das nun schon seit 27 Jahren tut – tun muß. Irgendwo in der Stadt ist ein Kind aus einem Alptraum erwacht, ein Mensch ertränkt Langeweile in Alkohol, vielleicht auch Liebeskummer, eine Ehe zerbricht in lauten Wortkaskaden, weil beide sich vor der Stille fürchten. Ein kleiner Kaufmann rechnet über seinen Büchern, weil er nicht einsehen will, daß der Supermarkt seine Zeit beendet hat. Ein Vater sorgt sich um seine Tochter, die von der Heroin-Spritze nicht lassen kann. In einer kleinen Kneipe singen sie laute Lieder, immer lauter und lauter– weil das die Angst vor dem nächsten Morgen eine wenig kleiner macht.


Draußen dreht sich die Erde weiter…. Halten wir sei ein paar Minuten hier drinnen an.


Sehen sie auf dieses Pferd!


Habicht von Burnus aus der Hallo von Goldregen.


Doch was sagt das schon?


Ein Teil der Schöpfung. Aber was für einer! Schönheit, Eleganz, Kraft, Majestät – diese bombastischen Vokabeln sind so platt.


Wie können die Vokabeln reichen, für das Gefühl das wir alle im Herzen haben? Für eine Leidenschaft, die die meisten von uns nicht in Worten erklären können und in einer Rechenaufgabe schon gar nicht!


Doch konnte Hemmingway erklären warum er schreiben mußte? Er war selten glücklich dabei.


Eine Leidenschaft fragt nicht nach Glück oder Leid.


Konnte Beethoven erklären warum sich Melodien bildeten in seinem Herzen, deutlicher wurden und sich nicht mehr verscheuchen ließen?


Die Geschichte kennt glücklichere Menschen. Wenig leidenschaftlichere.


Und auch Chagall hat auf so eine Frage immer nur eine Antwort gewußt: Weil ich malen muß! Van Gogh war es nicht anders ergangen. Er hat seinen Verstand verloren über seine Leidenschaft. Doch hätte er überhaupt gelebt ohne diese Leidenschaft?


Ein Auto kann heute in wenigen Sekunden auf 100 Stundenkilometer beschleunigen. Ein wenige Quadratmillimeter großer Chip kann mehr Vorgänge speichern, als ein menschliches Gehirn aufzunehmen in der Lage ist, wir können unsere Geschäfte im Überschalltempo erledigen, und die erste Mondlandung ist schon lange ein Klassiker.


Wir Pferdeleute aber laufen in schmutzigen Stiefeln über Pferdekoppeln, sind selten in der Lage, die Pferde unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten, finden innere Ruhe, wenn alle Krippen gefüllt sind und das beruhigende Mahlen, unterbrochen von einem Schnauben in unserem Ohr zu Musik wird, feiern eine Fohlengeburt mitten in bitterkalter Winternacht wie die Neuerschaffung dieser Welt, trauern um ein verendetes Pferd fast wie um einen Menschen, erzählen die Ruhmestaten bedeutender Hengste und wichtiger Stuten wie Biographien, wie Absätze aus dem Geschichtsbuch.


Ist denn alles in Ordnung mit uns? Darf das denn sein?


Wie glücklich sind Menschen, die eine Leidenschaft leben. Keine vordergründige Frage nach dem Warum. Dem Nutzen, der alltäglichen Bequemlichkeit, dem Geist der Zeit, dem Diktat der Moderne. Nur eine Antwort:Ich muß!


Der eine braucht die Leidenschaft wie ein gutes Essen nach einem arbeitsreichen Tag, der andere wie die glühend erregten Gesichter der Kinder nach der Heimkehr von einer Reise und mancher braucht sie, weil sie sein Leben ist.


Wir sind nicht die ersten, denen es so geht – und wir werden nicht die letzten sein.

Wieviele waren vor uns? Gedenken wir der großen Namen. Aber auch der vielen, vielen Namenslosen. Sie haben geschuftet, gelitten, und sie sind auch gestorben für ihre Pferde.

Wir verzichten auf manche Annehmlichkeit, wir leiden seelisch, wenn es unseren Pferden schlecht geht, wir streiten uns um sie mit zornesroten Köpfen, wir intrigieren ihretwegen, wir machen Schulden für sie, wir beleidigen ihretwegen, wir übertreiben für sie.


Was sind wir doch für glückliche Menschen: mit dieser Leidenschaft im Herzen!"


(Holger Heck)

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